Der Dezember ist dunkel. Die Tage werden immer kürzer, der Himmel ist oft bedeckt und grau, alles wirkt etwas düsterer. Und auch das ist wahr: Der Dezember ist voller Licht. Lichterketten, Kerzen, Weihnachtsdekoration, erleuchtete Buden und blinkende Lampen.
Seit jeher gehören zum natürlicherweise dunklen Dezember die künstlich erzeugten Lichtquellen. Ich erinnere mich, wie ich als Kind oft am Fenster saß, die Zimmerbeleuchtung ausgeschaltet, und ich schaute in die dunkle Welt und sah, wie im Schein der Straßenlaterne die Schneeflocken weiß und dicht zu Boden schwebten. Licht und Dunkelheit gehörten immer zusammen und ergaben diese behagliche Mischung aus Gemütlichkeit, Stille und Sicherheit. Ja, es hatte einen Aspekt von Sicherheit, von Vorhersagbarkeit und von „Das ist meine Welt im Dezember“. Dazu gehörten natürlich Geschenke, Weihnachtsbaum, Musik, Baumkuchen und heißer Kakao, „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und ZDF-Weihnachtsserien, Lametta und Vorfreude, alles war etwas langsamer und gemütlicher.
Die Welt wird größer
Dann wird man älter und die Magie verfliegt. Die eigene Welt wird immer größer, immer unübersichtlicher und immer instabiler. Als Mutter kommt der wichtige Aspekt hinzu, dass ich meinen Kindern die Gemütlichkeit und Sicherheit, die mir früher so wertvoll waren, bieten möchte und immer wieder an meine Grenzen stoße. Es gibt immer noch Lichterketten und Dekoration, Kerzen und – immer mehr – blinkende Weihnachtsmannfiguren, die von Balkonen hängen. Die Gemütlichkeit und die Vorfreude sind weiterhin in da, obwohl der Alltagsdruck zugenommen hat, auch für die Kinder. Früher wurden der 1. Dezember und das 1. Türchen zelebriert, heute geht es fast unter im vollen Termin- und Prüfungskalender der Schulen. Womit es zunehmend Schwierigkeiten gibt, das ist die Sicherheit. Die Welt der Kinder von heute ist so unglaublich viel größer und herausfordernder geworden als vor 30 Jahren. Als Mutter tue ich mich immer wieder schwer damit, denn schon das Haupt-Dezember-Thema ist unendlich beladen: es gibt keinen Schnee mehr. Vor einigen Jahren habe ich aufgehört, meinen Kindern von meinen Weihnachtserinnerungen zu erzählen: zu groß war immer die Enttäuschung, dass es nicht einmal mehr im Schwarzwald „Weiße Weihnachten“ gibt.
„Wenn das Auge Licht ist …“
Es gibt immer wieder Zeiten, die fühlen sich schwerer und dunkler an als andere, und wir befinden uns in einer solchen Phase. Das ist historisch gesehen keine Seltenheit (ein zyklisches Auf und Ab von Frieden, Krieg, Krankheit, Entspannung, etc.), und tatsächlich haben wir in Mitteleuropa ungewöhnlich viele Jahrzehnte von Frieden und Miteinander hinter uns. Aber jetzt, mittendrin, nach einer globalen Pandemie und vielen Monaten von gefühlt sich steigernden Konflikten und dem Allzeit-Thema Klimawandel, fühlt es sich manchmal sehr schwer an, und hier sind die individuellen Krankheiten, Konflikte und Alltagsprobleme noch gar nicht miteingerechnet. Es ist nur allzu verständlich – wenn auch keine wirklichr ealistische Lösung – wenn immer wieder zu hören ist: „Ich lese gar keine Nachrichten. Das alles will ich gar nicht wissen!“
„Wenn das Auge Licht ist, erleuchtet es die ganze Welt.“ Diesen Satz hörte ich einst in einem Seminar und er hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Es gibt nämlich noch viel mehr Licht und Wärme als das, was wir von der Sonne oder von äußeren Lichtquellen erhalten können. Es gibt ein inneres Licht, das tatsächlich niemals ausgeht. Eine innere Flamme, die aus unserem tiefsten Kern gespeist wird. Manche nennen es die wahre Natur, unsere Buddha-Natur, unseren Wesenskern, Liebe, das Sein, das Selbst, unsere Seele oder ganz anders. Wie auch immer es genannt wird, es ist unsere Menschlichkeit und natürliche Verbundenheit. Das, was spürbar ist, wenn wir uns nicht verärgert, überfordert, verängstigt oder minderwertig fühlen. Das, was da ist, wenn alle anderen Teile, die für gewöhnlich unseren Alltag managen, zurücktreten.
"... erleuchtet es die ganze Welt."
„Wenn das Auge Licht ist…“ meint, wenn wir unser Inneres strahlen lassen, dann findet es seinen Weg nach draußen, durch unsere Augen und durch unseren Ausdruck. Ich verbinde mich jeden Morgen mit dieser Absicht, das Licht meines Herzens durch meine Augen strahlen zu lassen. Und ich setze mir die Absicht, die Kraft meines Herzens durch meine Hände wirken zu lassen. Das gelingt mir keineswegs immer. Ich merke, wie die Last des Lebens – mein eigenes und das als Teil dieser Welt – drückt und mich beeinflusst. Mich täglich daran zu erinnern ermöglicht mir jedoch, immer wieder zurückzukehren zum Kern, zum Licht, zur Sicherheit, die von innen kommt. Ohne das wäre ich wohl verloren, denn meine Gedanken würden mich auf viele Pfade lenken, die von Zukunftsangst und Ohnmacht geprägt sind. So aber kann ich sein, da sein, in Beziehung sein, und besonders in diesen Zeiten ein Licht sein, um immer wieder mir und meinen Kindern zu leuchten. Dann haben sie – und ich auch! – tatsächlich Lichterketten, Plätzchenduft, Gemütlichkeit und Sicherheit als Teil ihrer Dezember-Erinnerung, die ihnen für immer bleiben wird.
Bald ist Weihnachten! Ob du Kinder hast oder nicht, erlaube, dass sich die Magie dieser Zeit entfaltet. Erkenne die bewertenden Gedanken über „Kommerz“ und „zu viel“ und „zu kitschig“, und gestalte dir die Zeit so, wie es sich für dich stimmig und richtig anfühlt. Finde dein eigenes Licht, innen und außen, und bringe es zum Leuchten. Die Welt braucht dein Licht.
Deine Aufgabe ist es nicht, nach der Liebe zu suchen, sondern lediglich, alle Barrieren in dir zu suchen und zu finden, die du gegen sie errichtet hast. Rumi