Selbstfürsorge

June 2017
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Es ist vielleicht an der Zeit, einmal zu reflektieren, ob wir mit diesem ständigen Tun, Rennen und Erledigen wirklich glücklich werden können. Ich habe eine sehr intensive Phase von mehreren Wochen (oder eher Monaten, wenn ich ehrlich bin) hinter mir, in der keine Pause möglich war. War das eine erledigt, stand sofort das nächste an. Alles lief sehr gut, ich lieferte ab, erfüllte Erwartungen, hatte Freude an meinem Tun und fühlte auch einen gewissen Stolz darüber, was ich alles geschafft hatte. Es waren wichtige Projekte, jedes einzelne, und jedes einzelne erforderte meine ganze Aufmerksamkeit und gründliche Prüfung. Wenn ich etwas anpacke, dann mache ich das richtig, und das soll man schließlich auch sehen.

Was auf der Strecke blieb, das war ich, mein Sein, mein Wohlbefinden. Dies ging mehr oder weniger bewusst von statten. Ich gönnte mir keine Pausen, strich Bewegung und mittags abwechslungsreich kochen aus meinem Terminkalender, erteilte meinem Körper und seinen Schreien nach Aufmerksamkeit und besserer Sorgfalt ein striktes Redeverbot und schaffte es gerade noch bis zum (vorläufigen?) Ende der heißen Phase, bevor ich mich für ein paar Tage zurückziehen konnte und fernab von allen und allem versuchte wieder aufzutanken – auf einer Fortbildung. Dennoch merkte ich rasch, wie die Stille des Hotelzimmers und die veränderte Umgebung ihre Decke der Beruhigung auf meinen geschundenen Körper und Geist ausbreiteten. Die Schmerzen wurden weniger, die Anspannung ließ Millimeter für Millimeter nach.

Das wichtigste Thema: Selbstfürsorge

Gerade habe ich meinen ersten Kurs beendet, und dieser Kurs war eine große Herausforderung für mich, inhaltlich und emotional. Es machte großen Spaß und ich empfinde tiefe Dankbarkeit für alle Teilnehmer und für meine Lehrer und Kollegen. Letztere haben mir das Vertrauen geschenkt, das Abenteuer Achtsamkeitslehrerin weiter auszubauen, und ohne sie wäre ich jetzt nicht dort, wo ich bin. Doch muss ich mir eingestehen, daß das – meinem Empfinden nach – wichtigste Thema des Kurses auch mein aktuell größtes Thema ist: die Selbstfürsorge. Nicht nur meinen Kursteilnehmern fiel es schwer, sich zu erlauben, auch nach sich zu sehen und nicht nur nach den Kindern oder dem Partner oder einfach den anderen. Selbstfürsorge, einfach einmal nur sein, das tun, was mir gut tut, ohne etwas erreichen zu müssen, ohne ein Ergebnis vorzeigen zu müssen, lesen, spazieren gehen (warum nicht einmal barfuß und es wirklich spüren?), puzzlen, mit Ruhe und Genuss essen, meditieren, mich zurückziehen, etc. – warum fällt es so schwer? „Das fühlt sich egoistisch an.“ „Bestimmt denken die anderen, ich wäre total faul.“ „Dafür ist keine Zeit.“ „Das kann ich mir nicht erlauben, es ist so viel Wichtigeres zu erledigen.“

NEIN.

Es gibt nichts Wichtigeres als Selbstfürsorge. Ja, ich kann mich nicht drei Stunden am Tag aus dem Alltag ausklinken und einfach die Seele baumeln lassen. Ja, ich kann meine Kinder nicht zwei Stunden vor den Fernseher setzen, nur weil ich jetzt eine kleine Auszeit brauche. Aber nein, ich muss jetzt nicht die Wäsche waschen, wenn mein Kleiner schläft, sondern ich kann ein Buch lesen und die Ruhe genießen. Und nein, ich muss nicht dreimal hintereinander den Lego-Turm aufbauen sondern kann auch sagen, dass ich gerne wieder dabei bin, wenn ich meinen Kaffee getrunken habe solange er noch warm ist. Selbstfürsorge bedeutet auch, genügend Schlaf zu bekommen und der körperlichen Erholung Priorität zukommen zu lassen. Selbstfürsorge schließt ein, dem Körper möglichst nährenden Kraftstoff zukommen zu lassen und nicht nach einem stressigen Tag automatisch nach der Tafel Schokolade zu greifen. Und es bedeutet auch, sich nicht selbst zu verurteilen, wenn die Schokolade doch leer ist am Ende des Tages oder wenn ein lautes Wort herausgerutscht ist. Selbstfürsorge meint, gut für sich zu sorgen, auch verbal. Selbstmitgefühl kann hier eine große Hilfe sein, wenn es gerade nicht so gut läuft.

Selbstfürsorge ist essentiell auch für die anderen Menschen um einen herum

Wenn es noch nicht deutlich genug geworden ist: Selbstfürsorge ist das einzige Mittel, um im Alltag anderen Menschen mit Freundlichkeit, Offenheit und Akzeptanz begegnen zu können. Wenn es uns nicht gut geht, dann sind wir nicht auf Empfang oder auf Geben eingestellt, sondern dann sind wir im Überlebensmodus. Und hier sind wir wirklich keinem ein angenehmer Zeitgenosse und können auch nicht eine geduldige Mutter, ein mitfühlender Vater oder ein liebender Partner sein, so sehr wir uns auch bemühen oder edle Absichten haben. Zuerst müssen wir die eigene Sauerstoffmaske aufsetzen, wie es uns im Flugzeug gezeigt wird, nur dann können wir für andere da sein.

Es wird Zeit, einmal auszuprobieren, wie sich das Leben anfühlt, wenn mehr „Sein“ und weniger „Tun“ den Alltag bestimmen. Genau jetzt ist ein guter Moment, um anzufangen.

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