Gerade habe ich die Lektüre eines Buches beendet, in der es um „Heiterkeit“ geht. Axel Hacke schreibt in 27 kleinen Kapiteln über Philosophen und ihre Suche nach dem Glück des Lebens, über Graham Chapman (Monthy Python) und Loriot, über Filme und Literatur, über seine eigenen Gedanken dazu, über Sprache und vieles mehr.
Sind es die Umstände des Lesens oder meine jahrelange Beschäftigung mit allem, was sich darum dreht, ein gutes Leben zu führen – ich weiß es nicht. Das Lesen jedenfalls und der Abschluss des Buches gestern haben mich sehr berührt. Es geht darum, das Lächeln zu pflegen und weniger das Lachen, die „Lücken in den Zäunen“ zu sehen, das Schwierige nicht zu ignorieren oder wegzumeditieren, sondern es zu integrieren. „Schwierige Zeiten? Ja. Natürlich. War immer so.“ Es geht um die „ganze Katastrophe“ des Lebens, so wie Jon Kabat-Zinn es beschrieben hat. Es hat Anklänge an Ghandi und seinen Spruch „Sei du die Veränderung, die du in der Welt sehen möchtest.“ Kennst du das auch, dass sich mit der Zeit Dinge wiederholen oder Lebenshaltungen überlappen und immer mehr Puzzlestücke ineinandergreifen?
Das Leben ist schwer
Das Leben ist schwer, es geschehen viele Dinge, die man nicht möchte oder die überfordern. Wir knabbern lange an Schicksalsschlägen, die eigentlich auch nie überwunden sind. Wir stecken fest in Arbeitssituationen oder Beziehungen, die es unmöglich machen, eine gute Lösung zu finden. Bleiben ist enorm belastend, Gehen überfordert die Kraft. Und nun? Wenn wir nicht aufpassen, leben wir für immer im inneren Widerstand. Die globalen Entwicklungen verursachen Ängste und Ohnmachtsgefühle, auch bewusstes Ablenken oder eine „ich lese einfach keine Nachrichten“-Haltung verhelfen nicht zu mehr innerer Ruhe. Naja, vielleicht vordergründig und kurzfristig, aber nicht ein Leben lang. Und was bedeutet „lebendig sein“ eigentlich? Wer hat uns erzählt, dass nur das Schöne und Erfreuliche ein ordentliches Leben ausmachten und alles andere sei falsch? Weshalb geht unser Gehirn immer wieder in die Vergleiche und erst dann denken wir: Was entgeht mir doch alles … Was wäre möglich, wenn nur …? Der Vergleich ist der Gegner der Heiterkeit.
Das Leben ist einzigartig
Das Leben ist einzigartig. Da ist so viel Staunen möglich und so viel Verbundenheit, wenn wir uns nur einlassen. Den Computer, auf dem ich diesen Text schreibe: Wie ist er entstanden? Wieviel unzählige Menschen waren hier beteiligt, dass ich ihn jetzt benutzen kann? Dass ich ihn mir leisten konnte? Die Nüsse, die ich parallel esse: Wie kommen sie hierher, in die Verpackung, geschält und gewürzt? Wo sind sie gewachsen? Habe ich mir schon jemals überlegt, wie eine Pistazie am Baum aussieht und wie sie geerntet wird? Gerade schwebten drei Möwen am Fenster vorbei mit einer unglaublichen Anmut. Das Wasser des Flusses tief unten – ich sitze im neunten Stock – ist grau und behäbig. Und wie kann ich mir anmaßen zu beurteilen, das Wetter sei „schlecht“ oder „zu ungemütlich“?
Das Leben ist unvorhersagbar
Das Leben ist unvorhersagbar. Wir planen und organisieren, buchen Tickets und Meetings, verbringen so viel Zeit und Energie mit der Organisation der Zukunft. Vieles klappt wie geplant. Und dann auch wieder nicht und wir leiden. Wir rennen von einem Flugzeuggate zum anderen, essen schnell im Auto oder am Schreibtisch vor Beginn des nächsten Termins, oder bekommen Kopfweh vor lauter innerer Anspannung. Immer wieder kommt etwas dazwischen, auch das ist normal. Und trotzdem fallen wir immer wieder in die gleiche Falle: Wir regen uns auf, leicht oder stark. Wir leiden körperlich oder emotional.
„Sie sind nunmal so.“ Auch ein Satz aus Hackes Buch. Wie oft versuchen wir, es anderen gleichzumachen und weniger zu grübeln, weniger zu organisieren, weniger zu stressen. Aber wir sind, wie wir sind. Manches können wir ändern, alte Muster aufbrechen, neue Wege gehen. Aber eben nicht komplett. Wir sind nun mal so. Ich bin nun mal so. Du bist nun mal so. Im Guten wie im Schlechten. Ich habe zwei Kinder, deren unterschiedlicher Charakter mehr und mehr durchkommt. Sie sind einzigartig, wie jeder andere Mensch auch. Sie sind dennoch auch unvorhersagbar, obwohl manches erwartbar ist. Ihre Zukunft ist definitiv unvorhersagbar. Das Leben mit ihnen ist wunderbar und bereichernd. Und das Leben für sie und mit ihnen ist immer wieder auch schwer, so wie es immer schwer sein wird, mit anderen Menschen zusammenzuleben und einen gemeinsamen Weg zu finden und miteinander eine Zukunft zu bereiten. Alleine sein auf der anderen Seite ist ebenso schwierig, auf eine ganz andere Weise.
Das Leben ist heiter
Und das Leben ist heiter und berührend, es ist immer wieder wunderschön (und dann die halbernst gemeinte Frage: „Wieso kann man den Sonnenuntergang (und das leckere Essen, den Supermond, das Konzert, …) einfach nicht mit der Kamera aufnehmen??!!“) und es birgt so viele Momente der Dankbarkeit. Ist dir schon einmal klar geworden, dass dieses Leben das einzige ist, welches du hast? Wieviele Jahre, Monate, Tage, Momente man (noch) haben wird, dass weiß fast keiner. Das hier ist es. Hier und jetzt. This is it. Alleine, dass ich hier sitze und atme, meine Finger auf der Tastatur bewege und es mir warm genug ist, allein dafür bin ich gerade zutiefst dankbar.
Ja, wir sind oft gefangen in unseren endlosen to-do-Listen, in unseren Verpflichtungen und Aufgaben des Alltags. Auch das ist das Leben. Es gibt immer wieder Tage, zuweilen aneinandergereiht, die sich anfühlen wie ein Gefängnis der Umstände und der Anforderungen von anderen, von Befindlichkeiten, von Zeit und von vermeintlichen oder wahrhaftig wichtigen Aufgaben. Auch das ist die Realität. Es ist unsere Aufgabe, immer wieder aufzuwachen und innezuhalten. Den Atem zu spüren. Die Lücke zwischen den Zäunen, die uns umgeben. Die Vergänglichkeit und Veränderung von allem wahrzunehmen. Auch mal vergessen dürfen und etwas verschusseln. Milde sein: wir sind nicht perfekt und werden es auch nie sein. Wir sind Menschen.
Das Leben ist
Diese Zeilen sind ein Plädoyer für das Leben und dafür, offen zu sein für die vielen kleinen Momente des Lächelns, des Freundlichseins, des Hinnehmens der Dinge, der Leichtigkeit, der Milde, der Heiterkeit. Warte nicht länger auf das große Glück oder darauf, dass sich alles endlich fügt und gut anfühlt. Das Leben ist eine Ansammlung von Augenblicken. Was willst du mit ihnen anfangen? Was tut dir gut? Was ist schwierig und wie gehst du damit um? Was ist der nächste Schritt?
Es geht immer nur um diesen Moment und dann um den nächsten Schritt. Nur um den nächsten Schritt.



