Es gibt Ereignisse, die verletzen tief. Auch wenn manchmal eigentlich gar nicht so viel passiert ist, alles trifft immer auf eine Geschichte und Erfahrungen, die in uns schlummern. Es gibt Dinge, die einen Riss in einer Beziehung hinterlassen, und es kann sein, dass trotz aller Aufarbeitung, Entschuldigung oder Erklärung sich trotzdem etwas weiterhin verletzt anfühlt. Alles, was wir erleben, macht etwas mit uns und verändert uns, macht uns zu dem Menschen, der wir jetzt gerade sind. Und das ist manchmal schwer zu akzeptieren.
Vor wenigen Wochen wurde ich von einer mir nahestehenden Person gefühlt im Stich gelassen. Von außen betrachtet würden viele sagen: so schlimm war das doch nicht. Das mag sogar wahr sein. Auch hat die Person aus verschiedenen Gründen Nachsicht verdient. Trotzdem hat das Ereignis Narben hinterlassen. Es traf mich an einem Tag, an welchem ich sehr verletzlich war und es mir auch körperlich ziemlich schlecht ging. Es war das berühmte „Tüpfelchen auf dem i“ und hat in mir etwas zum Überlaufen gebracht. Vieles von dem an diesem Tag Erlebten hatte rein gar nichts mit der Person zu tun, war ganz allein meine eigene Geschichte und mein eigener Zustand. Und trotzdem wiegt es schwer, genau in einem solchen Moment im Stich gelassen zu werden.
Menschlich sein dürfen – und verletzlich
Ich würde gerne Gleichmut zeigen, Mitgefühl leben und nachsichtig sein. Aber ich bin ein Mensch, und zu dieser Wahrheit gehört: manchmal geht es einfach nicht. Das mag dann auch bedeuten: manchmal verändern auch die Zeit und die Reflexion nicht allzu viel am Gefühl, auch ein analytisches Verständnis der Umstände helfen nicht. Dann kommen die inneren Teile zum Vorschein, die lautstark reklamieren: „Loslassen! Das erzählst du doch in deinen Kursen. Darum geht es doch auch in der Achtsamkeitspraxis: loslassen, was war. Akzeptanz dessen, was ist.“ Ja, genauso ist es. Und genauso gehört zum Leben: manchmal ist es einfach unglaublich schwer, und manchmal sogar unmöglich. Hätte ich es gerne anders? Selbstverständlich. Ich mache bewährte Übungen mit meinen Gefühlen und Gedanken, ich schaue mir die Teile an, die festhalten, die immer noch grummeln, die verletzt sind und die immer noch wütend darüber sind, dass es so geschehen ist. Ich sehe die Teile, die nicht loslassen können – und kann sie einfach nicht besänftigen. Und dann kommen sie, die sogenannten zweiten Pfeile: meine innere Wut darüber, dass ich immer noch wütend bin. Meine innere Enttäuschung darüber, dass ich trotz meiner jahrelangen Praxis und meiner Entwicklung einfach nicht loslassen kann. Meine innere Angst darüber, dass ich die Beziehung zu dieser Person langfristig schädige, weil ich immer wieder passiv-aggressiv bin und das Ereignis immer wieder ins Gespräch bringe, während die Person es nach einer kurzen Phase der Zerknirschtheit längst abgehakt hat.
Leben ist ein schwieriges Unterfangen. Manches darin verletzt tief und wühlt alte Wunden auf. Und trotz des Wissens um die Negativitätstendenz des Gehirns, der Funktionsweise des Alarmsystems oder der Erklärungsversuche – all diese mentalen Aktivitäten können manchmal einfach nicht vordringen zu dem tiefen emotionalen Gemisch, welches angerührt wurde.
Das ist das Leben – und ich hätte es gerne anders
Auch das ist Leben. Auch das ist die Wahrheit. Auch das ist die „ganze Katastrophe“. Wir sind alle Menschen, und immer wieder bedeutet das: ich bin nicht der Mensch, der ich gerade sein möchte. Ich fühle mich nicht so, wie ich mich gerade fühlen möchte. Ich bin nicht die emotionale Stütze, die ich gerade sein möchte. Und ich bin nicht die moralische Instanz, die ich eigentlich sein möchte. Leben bedeutet, sich auch immer wieder einzugestehen: ich hänge fest. Jetzt gerade hänge ich fest. In meinen Mustern, in meiner Verletzung, in meinen Gefühlen, in meiner Geschichte. Allein das Feststellen dieser Wahrheit ist schon ein Moment von Achtsamkeit und Akzeptanz. So ist es gerade. Und ich hätte es wirklich gerne anders. Und irgendwie ist es auch nicht in Ordnung, so zu sein und so zu fühlen. Zumindest sagt mir das ein bewertender Gedanke in mir. Erst nach dieser inneren Bestandsaufnahme kann ich anfangen, mich wirklich um mich zu kümmern.
In solchen Momenten bleibt uns nach außen hin nichts anderes übrig, als das Leben zu leben, das gerade da ist. Und es im nächsten Moment, am nächsten Tag, bei der nächsten Begegnung auf ein neues zu versuchen. Es geht nicht um Hoffnung oder um Abwarten, es geht ganz einfach um die Realität: morgen ist ein neuer Tag. Und morgen kann ich wieder von Neuem anfangen, mit dem zu sein, was ist.