„Als Kinder lernen wir sprechen, als Erwachsene sollten wir lernen zuzuhören.“ - Unbekannt
Kürzlich bei einem Fest versuchte ich vergeblich, der Geräuschlawine während des Mittagessens aus dem Weg zu gehen. Leider war es aus verschiedenen Gründen unmöglich, ihr zu entkommen, und ich quälte mich durch mannigfache Geräuschfetzen, Tischgespräche und Livemusik zur gleichen Zeit. Hinterher war ich mental sehr erschöpft und der Körper voller Spannungen.
Tagtäglich dringen so viele Geräusche an das Ohr und drängen in unser Gehirn. Es gibt dort keine Türen, die wir verschließen könnten. Die Ohren sind offen, selbst wenn wir schlafen, und die einzigen Wächter des Gehörgangs sind wir. Aber wir können auch nur bedingt kontrollieren, was wir an unser Ohr lassen. Natürlich können wir uns dazu entscheiden, nicht zum Rockkonzert zu gehen oder dort ganz vorne neben den Lautsprechern zu stehen. Aber besonders innerhalb der Familie gibt es tägliche Wortströme und Geräuschlandschaften, denen wir nicht entkommen können.
Lärm oder Klang?
Geräusche und Klänge können angenehm sein, berührend und erhebend. Sie können auch eine große Belastung werden, wenn sie eine gewisse Lautstärke oder Dauer überschreiten. Die Menschen sind natürlich unterschiedlich in ihrer Toleranzgrenze. Die Hörmeditation nimmt die Geräuschkulisse als Objekt der Aufmerksamkeit, um im Hier und Jetzt anzukommen. Jedes Geräusch, jeder Klang, entsteht und vergeht, und wir können das wahrnehmen in seiner Ganzheit und dabei versuchen, keine Herkunft erraten oder eine Bewertung vornehmen zu wollen („Katze“, „Regen“, „Schreien“). Das ist sehr schwierig und äußerst lehrreich, denn es macht uns deutlich, wie besessen unser Gehirn davon ist, Dinge (Geräusche) einzuordnen und zu bewerten.
Anderen Menschen zuhören
Für unsere zwischenmenschliche Kommunikation ist das Hören fast unerläßlich. Natürlich gibt es Mittel und Wege, sich zu verständigen, wenn das Gehör nicht funktioniert. Doch es scheint, als sei das Zuhören auch in der Welt der hörenden Menschen keine Selbstverständlichkeit. Kennt ihr das, wenn ihr versucht, euren Kindern etwas mitzuteilen, und sie stellen auf Durchzug? Oder die Freundin sagt zwar, sie würde zuhören, ist aber gelangweilt und gedanklich fast sichtbar schon beim nächsten Termin? Oder aber ihr wollt einfach nur loswerden, was euch auf der Seele brennt, und das Gegenüber relativiert eure Gefühle („Das ist doch nicht so schlimm!“) und unterbricht euch mit gut gemeinten, aber unerwünschten Ratschlägen? Es gibt tagtäglich so viele Momente, in denen Worte zwar gehört, aber nicht verstanden werden oder in denen das Gegenüber mental ganz woanders ist.
Wahres Zuhören
Wahres Zuhören ist ein großes Geschenk, das uns nährt und miteinander verbindet. Wahres Zuhören erkennt und erlaubt Gefühle und Bedürfnisse hinter den Worten. Wahres Zuhören gibt Zeit und Raum für die ganze Geschichte, und wahres Zuhören vermeidet Ratschläge und Zurechtweisungen. Wir sind so gewöhnt daran, uns mit unserer Meinung zu beteiligen, dass wir oft gar nicht merken, was der andere eigentlich gerade braucht. Wahres Zuhören erlaubt auch die Wahrnehmung eigener Gefühle und Resonanzen, ohne sie abwehren zu müssen. Wenn ein Kind traurig ist und davon erzählt, dann können wir versuchen, mit Mitgefühl zuzuhören („Das ist schwer.“), ohne es mit Schokolade oder Fernsehen abzulenken. Wenn ein Partner ein Problem anspricht, dann können wir versuchen, seine Sichtweise und unsere Gefühle anzuerkennen, ohne uns direkt verteidigen zu wollen. Wenn eine Freundin eine gute Nachricht erhalten hat und sich uns voller Freude mitteilt, können wir versuchen, uns mit ihr zu freuen und unser Herz zu öffnen, ohne den eigenen Gefühlen von Neid und Enttäuschung („Warum nicht ich?!“) nachzugeben.
Wenn uns bewusst wird, dass nach dem reinen Hören von Geräuschen und Worten unser Gehirn selektiert, eine Meinung bildet, interpretiert und bewertet und dadurch Gedanken und Emotionen auslöst – erst dann können wir eine klare Wahl treffen, wie wir auf das Gehörte eingehen. Nur dann können wir uns entscheiden, wie wir auf das laute Autoradio, unzufriedene Kinderstimmen oder eine Kritik vom Chef antworten.
Wahrhaftiges Zuhören ist eine Kunst
Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören
Und du fängst an, mir Ratschläge zu erteilen,
dann hast du nicht getan, worum ich dich gebeten habe.
Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören
Und du fängst an, mir zu sagen,
weshalb ich mich nicht so fühlen sollte,
dann trampelst du auf meinen Gefühlen herum.
Wenn ich dich bitte, mir zuzuhören
Und du meinst, du müsstest etwas tun,
um meine Probleme zu lösen,
dann hast du mich im Stich gelassen.
Also bitte, höre einfach zu,
höre mich an.
Und wenn du reden möchtest,
warte ein paar Minuten,
bis du an der Reihe bist,
und ich verspreche dir, ich werde dir zuhören.
Leo Buscaglia
(Übersetzung: Berenice Boxler)